Berlinale-Film „I Saw the TV Glow“: Jeder schaut für sich allein (2024)

Jane Schoenbruns elliptischer Spielfilm „I Saw the TV Glow“ versucht sich als nostalgische Würdigung von Fernsehserien der neunziger Jahre.

Action gibt es auch: Szene aus „I saw the TV glow“ Foto: A 24

Wem als Teenager das Aufwachsen im Vorort die Hölle bedeutete, dem waren wöchentlich ausgestrahlte TV-Serien zumindest eine vorübergehende Errettung daraus. Jedenfalls in den Neunzigern, als das Internet und seine Möglichkeiten noch in weiter Ferne lagen.

Mit dieser ebenso einfachen wie einleuchtenden Formel bereitet Jane Schoenbrun in „I Saw the TV Glow“ den Boden für den Horror vor, der im Verlauf von Schoenbruns hypnotisierendem zweiten Spielfilms allmählich erwächst. Dann, wenn sich der vermeintlich schützende Serienkosmos in eine so verzehrende Obsession verwandelt, dass sie in die Selbstverleugnung führt.

Zunächst wird das Fernsehen allerdings sorgsam als der einzige sichere Rückzugsort für den jungen Owen (Ian Foreman, später Justice Smith) sogar als Medium, das zusammenbringt, zelebriert. Der einsame Siebtklässler irrt durch düstere Schulkorridore, zu schüchtern, um zu sprechen. Alles ist von einem seltsamen Halbdunkel umgeben, das titelgebende Leuchten des Röhrenfernsehers die einzige Lichtquelle weit und breit.

In den Episodenguide vertieft

Dann fällt ihm eine Mitschülerin auf, die in einen „Episodenguide“ zu „The Pink Opaque“ vertieft ist. Die TV-Werbung zu dieser stark von „Buffy“ und „Charmed“ inspirierten Mystery-Serie hat ihn bereits neugierig gemacht. Selbst sehen kann er sie allerdings nicht, weil sie Samstagnacht und damit weit nach seiner Schlafenszeit ausgestrahlt wird.

Maddy (Brigette Lundy-Paine) ist zwei Jahre älter und blickt in typischer Teenie-Attitüde eigentlich auf den jüngeren Owen herab. Die Faszination für die Serie und ihre eigene Einsamkeit sind allerdings zu groß, als dass sie der Verlockung widerstehen könnte, sich mit ihm darüber auszutauschen. Es entsteht ein Band zwischen ihnen, das mehr von einer Schicksalsgemeinschaft als einer echten Freundschaft hat. Owen erfindet Ausreden, um „The Pink Opaque“ bei Maddy zu verfolgen. Sie wiederum nimmt Owen Wiederholungen auf VHS-Kassetten auf.

En passant beschwört Fil­me­ma­che­r*in Jane Schoenbrun den Zauber einer Ära herauf, in der das Verfolgen der TV-Lieblingsserie noch einen gewissen Aufwand – und vor allem: langes, langes Warten – bedeutete. Als es mehr als einen Klick brauchte, um sich in die wohlvertraute, fiktive Welt zu katapultieren. Und sie deswegen vielleicht noch von größerer Bedeutung war, als sie es heute ist.

Risse in der Idylle

Früh zeigen sich allerdings die ersten Risse in dieser Idylle, die ohnehin immer Illusion bleiben muss. Letztlich schaut jeder für sich allein, „I Saw the TV Glow“ ist sich dessen spürbar bewusst. Über die Jahre hinweg verbinden sich die Jugendlichen stärker mit den Figuren auf dem Bildschirm als miteinander.

Dass dieser stilistisch überaus ambitionierte Film immer wieder in die bewusst camp inszenierten Episoden eintaucht, hat daher noch andere denn nostalgische Gründe. „The Pink Opaque“ handelt von zwei Teenagerinnen, die über ein ominöses, pink leuchtendes Tattoo in ihren Nacken kommunizieren können. Mithilfe ihrer Kräfte besiegen sie in jeder Folge ein anderes Monster, das ihnen vom Oberbösewicht Mr. Melancholy (Emma Portner), eine grauenerregende Variante des „Mannes im Mond“, gesandt wird.

Wie sich zeigt, gleichen die beiden Hauptfiguren auf seltsame Weise ihren Fans: Während Tara (Lindsay Jordan) stolz auf ihre Einzigartigkeit ist, hat die verschlossene Isabel (Helena Howard) große Schwierigkeiten damit, ihre Fähigkeiten und sich selbst zu akzeptieren.

Er glotzt TV

Ähnlich verhält es sich mit den beiden Teenagern: Während Maddy in einem der wenigen persönlichen Gespräche zwischen ihnen frei heraus davon spricht, dass sie lesbisch ist, ist Owen von der Frage, worauf er denn eigentlich stehe, sichtlich überfordert und antwortet ausweichend: auf TV-Serien, natürlich. Wenig überraschend, verfällt Owen in einen dissoziativen Zustand, als Maddy verschwindet und „The Pink Opaque“ abgesetzt wird.

Damit kommt „I Saw the TV Glow“ an einem Punkt an, auf den Jane Schoen­brun schon die ganze Zeit über hinauszuwollen scheint: das identitätsstiftende Potenzial des Fernsehens, insbesondere für queere Jugendliche, die mangels richtiger Repräsentation, bewusst oder unbewusst, nach „versteckten“ Codes und Anspielungen suchen. Nach etwas, das mit dem eigenen Selbstverständnis korreliert.

Dieses Abtauchen in eine Serie – sowohl Gelegenheit, sich selbst besser zu verstehen, als auch Gefahr, sich und die Realität aus dem Blick zu verlieren – will Jane Schoenbrun in ihren Ambivalenzen darstellen. Der Film verlässt sich allerdings allzu sehr auf allegorische Andeutungen, um in einem überzeugenden Ganzen zu münden.

Surreale Vignetten

Spätestens als die Verlorengeglaubte dann doch wieder auftaucht und Owen eröffnet, dass ihr eigentliches Ich in der TV-Serie feststeckt, verliert sich „I Saw the TV Glow“ in surrealen Vignetten, die vermeintlich Bedeutungsschweres zum Ausdruck bringen sollen.

Maddy wagt den Weg zur Befreiung, Owen traut sich hingegen nicht, ihn zu beschreiten: Hinter der Metapher verbirgt sich die Mahnung vor einem verweigerten Coming-out, wahrscheinlich als trans*, und einem nicht gelebten Leben. Was bestechend klingt, erschließt sich aber nur mit einigem Interpretationswillen und kränkelt an einer störenden Inszenierungswut aus Stroboskopeffekten und pathetischen Monologen.

Am Ende schwirrt einem der Kopf, so viel ist sicher. Dass „I Saw the TV Glow“ darin etwas Bleibendes auszulösen vermag, hingegen nicht.

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